Asiatische, und insbesondere japanische Einflüsse auf die westliche Kunst sind nicht neu. Schon Ende des 19. Jhdts. hatte die sogenannte Japonaiserie einen ihrer Höhepunkte und ihre Einflüsse werden im Jugendstil, der Wiener  Secession oder dem Expressionismus deutlich. Seither darf man die japanischen Ästhetikprinzipien als „verankert” ansehen. Eine künstlerische Auseinandersetzung damit kann sich noch heute durchaus lohnen. Man sollte sich aber der Stolperfallen industrieller Kitschästhetik bewußt sein. Persönlich finde ich einige Ansätze besonders interessant:

Wabi-Sabi

Das schwer zu übersetzende Wabi-Sabi (侘寂) bezeichnet eine Ästhetik des Unperfekten, das sich durch Asymmetrie, Rauheit, Unregelmäßigkeit, Einfachheit und Sparsamkeit auszeichnet. Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit beweisen Achtung vor der Eigenheit der Dinge. Im Vergleich mit der abendländischen Tradition nimmt es einen ähnlich hohen Stellenwert ein, wie das westliche Konzept des Schönen.[8]

Wabi lässt sich sinngemäß als „geschmackvolle Einfachheit“ oder als „an Ärmlichkeit grenzende Bescheidenheit“ übersetzen. (Quelle: Wikipedia)

Shibui

(渋い) bedeutet schlicht, dezent, sparsam und kann ebenso wie Wabi-Sabi auf ein breites  von Gegenständen – auch jenseits der Kunst – angewandt werden. Ursprünglich in der Muromachi-Zeit (1336–1392) als Bezeichnung für einen bitteren Geschmack verwendet, fand es während der Edo-Zeit (1615-1868) Eingang in die Ästhetik. Während „shibui“ das Adjektiv ist, lautet das dazugehörige Substantiv „Shibusa“. (Quelle: Wikipedia)

Im Gegensatz zur bei uns verbreiteten Auffassung bedeutet shibui für mich aber nicht primitiv. Es wirkt nur auf den ersten Blick  – in seiner Gesamtheit – einfach. So als würde man die Augen zukneifen um die Formen eines Objektes besser im Gesamten zu erfassen. Bei näherem Hinsehen kann sich eine Detailfülle ergeben. Was für mich den Reiz ausmacht, weil sich auch bei wiederholter Betrachtung neue Einzelheiten eröffnen und das Bild deshalb nicht langweilig wird. Die folgende Architekturserie finde ich „shibui”. Klare schlichte Formen und Farben, dennoch eine Fülle von Details bei näherem Hinsehen:

 

Yohaku-no-bi

余白の美: „Die Schönheit des übrig gebliebenen Weiß“ bezeichnet ein ästhetisches Prinzip, bei dem im Kunstwerk stets eine freie (weiße) Stelle bleibt. So nämlich, dass nicht alles dargestellt wird, nicht alles gemalt wird, nicht alles gesagt wird, sondern stets ein Moment der Andeutung verbleibt, das über das Werk selbst hinausweist. Auf diese Weise bleibt stets etwas Geheimnisvolles, Verborgenes, was die Stimmung des Yūgen hervorrufen kann.

Die Leere und das Nicht-offen-Zutagetreten des Schönen ist für den Kritiker Morimoto Tetsurō wichtiger Teil des japanischen ästhetischen Empfindens. Unter Berufung auf den Dichter Matsuo Bashō weist er darauf hin, dass es etwa in der Dichtung darauf ankommt, stets einen Rest ungesagt zu lassen und nicht alles offen auszusprechen. (Quelle: Wikipedia)

Seinen wohl besten Ausdruck findet dieses Ästhetikprinzip im Aquarell. War es ursprünglich akademisch, die Malfläche völlig zu bedecken, darf man nach diesem Prinzip durchaus „Ungemaltes” stehen lassen. Das weiße Papier dient dem Betrachter als Projektionsfläche, er ergänzt unbewußt das nicht gemalte aus eigener Phantasie.

Auch in der Typografie ist Yohaku-no-bi ein probates Gestaltungsmittel (welches jeden Chefredakteur umgehend zu der Frage veranlaßt: „… warum steht da nichts?”)

Beispiel für Yohaku-no-bi